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Wahrnehmung der Schönheit im Monat Ramadan

#1 von Yavuz Özoguz , 26.05.2017 09:34

Wahrnehmung der Schönheit im Monat Ramadan

Wahre Schönheit zu erkennen ist ein Ziel, das jede Seele anstrebt. Aber die Verwirrungen aller Zeiten lassen viel zu oft den Blick trüben.



Bereits Platon wusste, dass die Seele eines Menschen dem Schönen zugeneigt ist. Denn jede Seele kommt von Gott und zu ihm ist die Heimkehr. Quelle aller Schönheit ist Gott und das Streben nach Schönheit eines der unzähligen Zeichen auf unser göttliches Streben. Platon erklärt anhand der Schönheit seine Ideenlehre, wonach ein Mensch einen einzelnen schönen Körper schön finde [1]. Später erkennt er, dass Schönheit auch bei anderen Körpern besteht. Über die Liebe zu dem schönen Materiellen steigt er dann auf die Ebene des Übermateriellen und bevorzugt dann die „Schönheit in den Seelen“.

„Als ihm (Salomo) am Abend vorzügliche Rennpferde vorgeführt wurden, hat er gesagt: Ich habe die Liebe zu dem Schönen geliebt, um meines Gedenken (Gottes), bis sie hinter der Verhüllung verborgen war.“ (Heiliger Qur’an 38:31-32)

Obiger Vers wird bedauerlicherweise in viel zu vielen Qur’an-Übersetzungen zu Ungunsten Salamos völlig falsch übersetzt. Tatsächlich geht es darum aus der kindlichen Wahrnehmung der dinglichen Schönheit in die Wahrnehmung des Wesens der Schönheit zu gelangen, die hinter Schleiern verborgen ist. Nur Gott lüftet diese Schleier für uns. Schöne Gespräche werden wichtiger als materielle Schönheit, denn die unvergängliche Schönheit des Geistes übertrifft die vergängliche Schönheit des irdischen. Schließlich entdeckt nach Platon der Mensch „dass alles Schöne miteinander verwandt“ ist. Die höchste Stufe sei die Bewunderung der allgemeinen Existenz des Schönen, die allem Schönen zugrunde liegt. Das Schöne existiere völlig unabhängig von der Existenz einzelner schöner Dinge.

Die einflussreichste philosophische Definition von Schönheit in der Neuzeit wird heute noch Immanuel Kant zugeschrieben. Als maßgebliches Werk hierzu gilt seine „Kritik der Urteilskraft“ von 1790 [2]. Kant unterscheidet zwischen einem ästhetischen Urteil und wahrer Schönheit. Ästhetische Urteile basieren nach Kant auf privaten, subjektiven Empfindungen des Gefallens oder der Abneigung, der Lust oder Unlust. Wahre Schönheit hingegen sei objektiv. Kant definiert Schönheit in einer berühmten Formulierung als „interesseloses Wohlgefallen“. Diese Schönheit zu erfahren hat allerdings Voraussetzungen, die für das subjektive Schönheitsempfinden nicht gilt.

Eine Voraussetzung ist, dass man sich auf jene Schönheit einlässt. Man stelle sich eine wunderbare Symphonie vor, die man zum ersten Mal hört. Als Kenner von Symphonien erkennt man zwar sofort, dass es eine außergewöhnlich schöne Symphonie ist, aber die wahre Schönheit entfaltet sich erst nach und nach durch das immer neue Hören, durch den Blick auf die Gesamtkomposition und die Feinheiten, die diese Gesamtkomposition ausmachen. Der Muslim, der keine Symphonie hören möchte, kann sich das Gleiche auch mit einer Qur’an-Rezitation eines Weltmeisters vorstellen. Die Wirkung von Versen, die er kennt, ist das Gänsehautgefühl und Schauer über den Rücken. Auch lange verheiratete kennen das Phänomen. Das anfängliche Verliebtsein war zwar wunderschön, ist aber an Schönheit und Intensität kaum vergleichbar mit der wachsenden Liebe einer islamischen Liebesverschmelzung, die sich über Jahre entwickelt [3].

Wahre Schönheit ist also ohne das „Denken“ der Schönheit gar nicht möglich. Im Islam würde man stattdessen den Begriff „Dhikr“ verwenden, also das „Gedenken“.

„Diejenigen, die überzeugt sind und deren Herzen befriedigt werden im Gedenken an Allah. Wahrlich, Gedenken Allahs befriedigt die Herzen befriedigt.“ (Heiliger Qur’an 13:28)

Psychologen der New York University wollten 200 Jahre nach Kant in einer Art Experiment erforschen, ob das stimmen kann, was da Kant behauptete (und vor ihm schon alle monotheistischen Religionen). Die Forscher setzten studentische Probanden unterschiedlichen sinnlichen Reizen aus: Man zeigte ihnen Bilder aus einer psychologischen Datenbank, die in der Vergangenheit generell positiv bewertet worden waren und neutrale Bilder (z.B. schlichte Fotos von Ikea-Möbeln). Bei allen Reizen sollte u.a. die Schönheit bewertet werden. Es gab allerdings zwei Versuchsdurchgänge: Im ersten konnten sich die Probanden voll auf den Sinneseindruck konzentrieren, im zweiten mussten sie parallel dazu eine komplexe gedankliche Aufgabe lösen, die einen Großteil ihre Konzentration beanspruchte. Die Ergebnisse, veröffentlicht vor zwei Wochen in der Zeitschrift Current Biology, bestätigten Kants Vorstellung. Während das Urteil über die schlichten Fotos durch die Denkaufgabe kaum beeinflusst wurde, brach das ästhetische Empfinden bei den vorher als „schön“ bezeichneten Bildern ein. Auch der empfundene Genuss ließ nach. [4]

Nun kann man sich die Frage stellen, ob es wirklich ausgefeilter teurer Experimente an einer Universität bedarf, um zu dieser Erkenntnis zu erlangen. Aber das Ergebnis kann hilfreich sein, seineigenes Leben zu reflektieren. Ist das Gebet, auf dass ich mich intensiv konzentrieren kann, nicht vielfach schöner, als ein Gebet, in dem ich gedanklich abgelenkt bin? Gilt das nicht für alle islamische Riten, ja sogar für jedes Empfinden der Schönheit der Schöpfung. Ist ein Naturspaziergang, bei dem ich in jeder Blume ein Zeichen Gottes sehe, nicht viel schöner, als ein abgelenkter Fußmarsch? Und ist nicht ein Fasten, bei dem jede Hungerregung, jeder Durst und jedes unterdrückte Bedürfnis auf den wahren Erfüller aller Bedürfnisse hinweist, ein viel schöneres Fasten, als das reine Hungern?

Der Monat Ramadan steht vor der Tür. Es ist der Monat Allahs! Sicherlich gibt es keinen Monat, der nicht Allahs wäre, aber dieser Monat weist in ganz besonderer Weise auf den Schöpfer allen Seins und aller Schönheit hin. Der Hunger mag zunächst unangenehm erscheinen. Aber bei genauerem Hinsehen wir er schön, denn er öffnet Türen zur wahren Liebe, er lässt – zumindest kurzzeitig – empfinden, was die wirklich Hungernden dieser Welt verspüren müssen und stellt den Fastenden an die Seite aller Unterdrückten gegen die Unterdrücker dieser Erde. Der freiwillige Hunger verbrennt die Sünden und öffnet den Blick für wahre Schönheit.

Lasst uns dieses erneut voller Gnade angebotene Geschenk dankbar annehmen und die Schönheit lieben lernen. Lasst uns von allen Dingen befreien, die uns den ungetrübten Blick auf die Schönheit vernebeln. Lasst uns befreien von der irdischen Sucht, die sich heutzutage immer mehr bei Jugendlichen in der Smartphone-Sucht widerspiegelt. Was führt zu der krankhaften Sucht, durchgehend online sein zu müssen und dabei zu vergessen, dass die Beziehung zu Allah – und nur diese – ununterbrochen online sein sollte?

Der Monat Ramadan ist eine Gnade zur Befreiung und zum Erkennen der wahren Schönheit. Und dann werden wir, so Gott will, eines Tages die Aussage der gesegneten Zaynab verstehen, die zu Aschura gesagt hatte: „Ich habe nichts als Schönheit gesehen.“ Sie war nicht abgelenkt durch Ablenkendes, sondern sah die Beziehung des Liebenden mit dem Geliebten und wie sie unaufhörlich zueinander streben. Der Gnädigste aller Gastgeber öffnet uns in wenigen Stunden sein Haus zum Fasten. Ist das nicht wahre Schönheit? Und Gott lüftet die Schleier der Schönheit im Monat Ramadan für jeden der sie sehen möchte.


Yavuz Özoguz  
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zuletzt bearbeitet 26.05.2017 | Top

RE: Wahrnehmung der Schönheit im Monat Ramadan

#2 von Werner Arndt , 14.06.2017 12:27

Der Ramadan geht nun ins letzte Drittel und ich möchte es nicht versäumen, an dieser Stelle allen Muslimen weiterhin gesegnetes Fasten zu wünschen. Schön, dass dergleichen in Deutschland auch offiziell zum guten Ton gehört.
https://twitter.com/RegSprecher/status/868375707717701633


Der Monat Ramadan ist es, in dem der Qur´an als Rechtleitung für die Menschen herabgesandt worden ist
und als klarer Beweis der Rechtleitung und der Unterscheidung.
Wer also von euch in dem Monat zugegen ist, der soll in ihm fasten.
Und wer krank ist oder sich auf einer Reise befindet, soll eine Anzahl anderer Tage (fasten) -
Allah will es euch leicht, Er will es euch nicht schwer machen -
damit ihr die Frist vollendet und Allah rühmt, dass Er euch geleitet hat.
Vielleicht werdet ihr dankbar sein.
(Koran 2:185)

Werner Arndt  
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