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Sind deutsche Nichtmuslime bereiter für den Erlöser als manche Muslime?

#1 von Yavuz Özoguz , 05.10.2015 10:00

Sind deutsche Nichtmuslime bereiter für den Erlöser als manche Muslime?

Hunderte von Generationen vor uns haben den Erlöser schon kommen sehen, und doch ist er nicht gekommen. Kann es daran liegen, dass sie sich auf die falsche Frage konzentriert haben und dabei den Blick auf das Gute in den Menschen genau so vernachlässigt haben wie die Selbsterziehung?

Die Erwartung des Erlösers ist keine muslimische Besonderheit. Auch Juden und Christen warten – so weit sie ihre eigene Religion kennen – auf das Erscheinen eines Erlösers. Und das gilt auch für viele andere Religionen. Jener Erlöser ist in allen Religionen eine nicht nur theologisch-theoretische Notwendigkeit. Denn schließlich muss allen Menschen aller Zeiten der Beweis erbracht werden, dass das Paradies auf Erden möglich gewesen wäre, so dass alle Menschen, die nicht daran mitgewirkt haben, sich selbst für ihre Nachlässigkeit anklagen werden. Der Erlöser ist auch die Erfüllung der Hoffnung so vieler Unterdrückter auf Gerechtigkeit auf Erden.

Es gibt Sekten, die kündigen fast jedes Jahr enthusiastisch das Kommen des Erlösers an um im darauf folgenden Jahr mit gleichem Enthusiasmus zu erklären, warum er doch nicht gekommen ist. Auch in der muslimischen Geschichte gab es bereits einige Möchtegern-Mahdis. Sei es der Aufstand der Mahdi-Bewegung im Sudan gegen die letztendlich siegreichen britischen Kolonialisten oder die so genannte Ahmadiyya-Bewegung im ebenfalls von Briten kolonialisierten Pakistan. Immer wieder wurde das Motiv des Erlösers von Kräften verschiedenen missbraucht. Der Untergang des Mahdi-Aufstandes führte zur Abspaltung des Sudan von Ägypten und das Ableben des Ahmadiyya-Mahdis ohne seine Mission erfüllt zu haben, wurde durch eine aus der schiitischen Theologie übernommenen Idee „überwunden“. Es gab plötzlich zwölf Nachkommen des Mahdi. Mal sehen, was die sich einfallen lassen, wenn der Zwölfte auch verstorben ist, bevor der Mahdi seine Erlösermission erfüllen kann. Den britischen Religionswissenschaftlern, die den Islam meist besser kennen als die meisten Muslime, wird schon etwas einfallen.

Aus islamischer Sicht ist es allerdings unverkennbar, dass die Zeichendichte unserer Tage so groß ist wie nie zuvor in der Geschichte des Islam. Die prophezeite Gründung des Islamischen Staates im Iran liegt nunmehr über drei Jahrzehnte zurück. Ein möglicher Chorasani (eine wichtige Figur beim Befreiungskampf des Erlösers) könnte in den Augen vieler Hoffnungsvoller die Heiligkeit unserer Zeit Imam Chamene’i sein. Der ebenfalls angekündigte Islamische Staat in Jemen im Vorfeld des Erscheinens des Erlösers ist urplötzlich nicht mehr Utopie und kann angesichts der Labilität in der Region von heute auf morgen erfolgen. Die Lage in Syrien, wo sich so viele Flaggen gegenseitig bekämpfen, dass niemand mehr weiß, wer eigentlich gegen wen kämpft, ist vorhergesagt und bereitet das Erscheinen des Sufyani (eine Art Gegenspieler des Erlösers) vor, der dann nur die Zeit einer Schwangerschaftsperiode herrschen und die Region unterdrücken wird. Die Ereignisse in der historischen Region Schaam (Syrien, Libanon, Palästina), die Ereignisse im Königshaus der Saudis, das Massaker von Mina, das Einsperren der Kaaba inmitten eines Gerüstes und der drohende teuflische Blick vom überdimensionalen Uhrenturm auf die Kaaba, die Unruhen in Bahrain und Qatar, der finanzielle Untergang des Imperiums gepaart mit dem Weltwirtschaftskrieg auf globalem Niveau (siehe z.B. VW), die unvorstellbaren Flüchtlingsströme weltweit und vieles andere mehr deuten darauf hin, dass wir auf eine sehr spannende Zeit zulaufen. Zuweilen sind die Ereignisse so präzise vorhergesagt, dass man sich eher erschüttert wundert, wie genau sie auch eintreten. Insbesondere die Experten der Schia im Islam haben in diesen Monaten Zeichen gesehen, die ihre Hoffnung größer denn je zuvor haben werden lassen.

Doch alle Zeichen können auch missgedeutet werden! Wie viele Generationen vor uns haben sich in ähnlicher Situation gewähnt, und doch ist der Erlöser nicht gekommen? Wie oft wurden die Zeichen der Zeit als niemals zuvor eingetreten gedeutet, was auch stimmte, aber später traten Ereignisse ein, auf die die Beschreibung eben besser gepasst hat. Ja, die Hoffnung mag heute größer sein als je zuvor – nicht nur bei gläubigen Muslimen – aber es gibt keine Garantie, dass wir alles richtig verstehen und deuten. Möglicherweise dauert es noch 100 Jahre oder mehr, bis die Erlösung eintritt. Vielleicht ist die Heiligkeit unserer Zeit Imam Chamene’i nicht der Chorasani, und ob wirklich eine zweite Islamische Republik im Jemen entsteht ist angesichts der Lage höchst ungewiss. Was nützen also die Gedanken des Erwartens in dieser Intensität, wenn sie geeignet sind zur Enttäuschung, wenn das Erwartete nicht eintritt? Und worin liegt unser Fehler beim Erwarten?

Die unerschütterliche Hoffnung ist eine Eigenschaft von Idealisten. Aber solch eine unerschütterliche Hoffnung ist langfristig nur möglich, wenn sie sich wirklich auf das Ideal bezieht! Jede Hoffnung, die auf irgendetwas anderes gründet als dem Schöpfer allen Seins, ist dem Untergang geweiht und wird früher oder später zur Enttäuschung führen. Eine Hoffnung aber, die im tiefsten Herzen des Menschen auf die Urquelle aller Hoffnungen zurück greifen kann, auf den Geist Gottes in uns allen, kann niemals erschüttert werden. Und genau hier setzt die entscheidende Frage ein, die wir alle uns stellen müssen, jeder für sich und wir als Kollektiv uns gemeinsam. Sind wir überhaupt reif und bereit für die Erlösung?

Als deutsche Muslime wird es an der Zeit einige kulturelle Dinge in unserer unmittelbaren Umgebung genau zu betrachten und mit dem sachlichen Auge des Islam zu beurteilen, um zu verstehen, wo es in uns möglicherweise noch hapern könnte.

In Deutschland gehört der faire Umgang gegenüber behinderten Menschen zur Kultur! Gebäude werden mit einigem Aufwand behindertengerecht gebaut. Die Straßen sind geeignet für Rollstuhlfahrer, Fachleute streiten sich über die ideale Erziehung und Ausbildung mit oder ohne Inklusion, und es gibt sehr viele freiwillige Ehrenamtliche, die sich um diese Menschen kümmern. Für Blinde gibt es Bücher, die sie „lesen“ können und Computer, die sie bedienen können. Dürfen wir an dieser Stelle die Frage stellen, wer denn diese hilfsbedürftigen Menschen „islamischer“ behandelt; wir Muslime oder die Mehrheitsgesellschaft der Nichtmuslime?

In Deutschland gehört Natur- und Umweltschutz zur Erziehung der Menschen. Gesetze versuchen selbst die noch so kapitalistisch vergifteten Unternehmen diesbezüglich zu bändigen. Das Werfen seines Mülls auf die Straße wird durch Passanten mit entsprechenden hinweisen geahndet. Die Sauberkeit beginnt nicht erst nach der Hauseingangstür sondern lange davor. Der Garten und die ganze eigene Straße werden nach Möglichkeit sauber gehalten. Ist eine Straße besonders verdreckt, ist es nicht unwahrscheinlich dass der Anteil an Muslimen in der Straße nicht gering ist. Das sind zwar nicht die praktizierenden Vorzeigemuslime, aber die anderen sind ja auch keine Vorzeigenichtmuslime, sondern ganz normale Bürger, die selbst auf Kosten des typisch deutschen Nachbarschaftsstreits großen Wert auf Ordnung auf öffentliche Sauberkeit legen. Schulklassen ziehen in Projekten aus und sammeln Müll in Krisenvierteln. Wer ist hierbei „islamischer“ (einmal abgesehen vom Nachbarschaftsstreit als Volkssport)?

Das Familienleben in Deutschland ist bedauerlicherweise zu einer Katastrophe mutiert, das viele Ursachen in der Schamlosigkeit der Gesellschaft hat. Und zweifelsohne ist das Ideal der Familie, welches Muslime im Land viel intensiver verfolgen als Nichtmuslime, keine Domäne der Mehrheitsgesellschaft. Aber selbst hierbei gibt es einige Aspekte, die erwähnenswert sind. Wenn es zur Krise kommt (und das ist leider bei Muslime wie Nichtmuslimen viel zu oft der Fall), gibt es eine Scheidung. In Deutschland mündet nicht jede Scheidung in eine Katastrophe! Es ist sogar denkbar, dass die Geschiedenen nach der Scheidung (z.B. wegen der Kinder) einen sachlichen Umgang miteinander pflegen. Wenn z.B. die geschiedene Ehefrau eines Tages einen neuen Mann heiratet, wird dieser nicht automatisch zum „Feind“ des alten Ehemannes. Wer verhält sich hier „islamischer“ und näher zu dem Vorbild des Propheten, der auch geschiedene Frauen geheiratet hat und dennoch gute Beziehungen zu den Vorehemännern hatte! Und bei der Heirat des Nachwuchses stellen muslimische Eltern zuweilen Hindernisse auf, die dem Geist des Islam total widersprechen! Es ist z.B. leichter für einen christlichen Deutschen eine christliche Syrerin zu heiraten als für einen muslimischen Deutschen irgendeine Muslima aus irgendeinem muslimischen Land! Wer verhält sich hier „islamischer“?

Die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland legt großen Wert auf Disziplin, Ordnung und vor allem Pünktlichkeit! Zeitliche Vereinbarungen werden auf die Minute eingehalten. Viele kommen lieber einige Minuten zu früh als zu spät. Wie ist es mit uns Muslimen? Werden wir das Erscheinen des Erlösers möglicherweise verpassen, weil wir zu spät kommen? Oder haben wir noch nie vom Vers gehört „erfüllt eure Versprechen“ (5:89)?

Die Streitkultur in Deutschland ist für manche Muslime schwer nachvollziehbar. Die gleichen Politiker, die sich im Bundestag gegenseitig sonst etwas vorgeworfen haben, gehen anschließend zusammen einen Kaffee trinken, um ein Problem zu lösen. Die Problemlösung steht viel mehr im Vordergrund als die persönliche Befindlichkeit. Das wird jetzt insbesondere bei der Flüchtlingskrise deutlich! Die total überforderten Gemeinden und Kreise können auf Hilfe aus allen Bevölkerungsschichten aufbauen (selbst vom politischen Gegner), denn es geht um eine größere Sache. Die Hilfsbereitschaft ist enorm und nur noch übertroffen von der Hilfsbereitschaft, die einige wenige betroffene muslimische Länder aufzeigen wie z.B. der Iran und der Libanon. Andere superreiche muslimische Staaten bauen lieber Stadien einer Weltmeisterschaft, die ihnen zuvor auf merkwürdigen Wegen zugesprochen worden ist. Der Protest dagegen ist in der nichtmuslimischen Welt größer als unter Muslimen! Wer stellt sich hier deutlicher gegen Unterdrückung?

Wollte meine Wenigkeit einen Aufsatz über derartige Vergleichsbeispiele zwischen deutschen Muslimen und Nichtmuslimen bzw. einen globalen Vergleich diesbezüglich bringen, könnten mehrbändige Bücher gefüllt werden. Und viel zu oft würden viel zu viele Muslime nicht besonders gut abschneiden. Sicherlich gibt es auch die Anhänger des islamischen Ideals, die es auch versuchen zu leben, aber tun diese genug?

Daher soll hier ein ultimatives Großbeispiel gebracht werden, um zurück zur Erwartung auf den Erlöser zu finden. Die Welt wird – wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit – beherrscht von einem Imperium, das nicht nur über Waffen verfügt, sondern selbst die Gedanken der Menschen zu kontrollieren versucht. Nie zuvor gab es so viele so grausame Waffen in der Hand weniger Mächtiger. Nie zuvor wurden die Menschen der gesamten Welt durch diverse Netzwerke so kontrolliert wie heute. Nie zuvor war die wirtschaftliche Unterdrückung so global wie heute. Nie zuvor gab es solch eine sexuelle Ausbeutung und so viel Schamlosigkeit. Nie zuvor wurde so viel Materielles angebetet. Nie zuvor war die Menschheit so verschuldet und versklavt wie heute. Nie zuvor gab es so viel Hunger, so viele Flüchtlinge, so viel andauernden Kriegzustand in der Welt, so viel Armut und, und, und. Und nie zuvor wurden die Menschen durch Nationalismus, Rassismus, Sektierertum und andere Spaltmerkmale so extrem geteilt, um sie zu beherrschen.

Doch genau bei dieser Ausgangssituation stellen sich folgende Fragen: Wem gelingt es besser gegen diese Unmenschlichkeiten anzugehen? Wo ist der Protest gegen die Massaker des Zionismus und der Boykott zionistischer Waren größer, bei Muslimen oder Nichtmuslimen? Gibt es mehr Proteste gegen Rammstein oder gegen US-Basen in der muslimischen Welt? Wo verbinden sich Menschen immer mehr weit über Landesgrenzen und bilden neue Einheiten; Muslime, die jene Einheit als religiösen Auftrag haben, oder Nichtmuslime? Wer hat weniger Berührungsängste gegenüber dem wahren Islamischen Staat (und nicht dem US-IS) und die Heiligkeit unserer Zeit; Europäer, Russen, Chinesen, Afrikaner, Südamerikaner oder Muslime? Letztere Frage darf auch insbesondere an Schiiten gestellt werden! Immer wieder fällt mir der Brief Imam Chamene’is an die Jugend in Nordamerika und Europa ein, ein Brief der in einer sehr sensiblen Phase der Menschheitsgeschichte an eine bestimmte Jugend gerichtet wurde. Obliegt nicht uns, diesen Brief umzusetzen?

Die Erlösung des einzelnen Menschen ist unabhängig von der kollektiven Erlösung der Menschheit! Selbst wenn der Erlöser kommt, wird es Menschen geben, die sich dagegen wehren (auch Muslime, darunter Schiiten bzw. solche, die glauben Schiiten zu sein). Die wahre Erlösung des Menschen besteht in seiner Hinwendung zur Quelle aller Liebe, die ihn so erfüllt, dass er diese „Auflandung“ mit Liebe durch Nächstenliebe weitergibt. Nächstenliebe drückt sich nicht dadurch aus, dass man Liebenswerte liebt. Das kann jeder! Nächstenliebe drückt sich dadurch aus, dass man denjenigen Liebe zukommen lässt, die danach dürsten. Und in diesem Durst erkennt der Wahrhaftige Gottes Liebe, die wiederum ihm zuteil wird, dadurch dass er lieben darf.

So ist es unser aller Aufgabe heute gemeinsam zur Problemlösung beizutragen in unseren Herzen wie auch in unserer Heimat, die für viele von uns Deutschland ist. Meine Wenigkeit gehört sicherlich zu den schärfsten Kritikern der Bundeskanzlerin. Sie war und ist für mich ein Teil des imperialen Unterdrückersystems der Westlichen Welt gegen den Rest der Menschheit und auch gegen das eigene Volk. Aber jetzt ist nicht die Zeit für diese Gedanken! Die Bundeskanzlerin setzt sich mit der Macht ihres Wortes und ihrer Taten für die Flüchtlinge ein und darin muss sie unterstützt werden. Darin besteht eine Chance zur Befreiung jedes einzelnen Helfers wie auch Deutschlands als Kollektiv, selbst wenn Ewiggestrige und Spalter das nie verstehen werden. Selbst die Bundeskanzlerin kann dadurch befreit werden. Sie hat zwar nur Kardinal Marx zitiert, als die gesagt hat: „Der Herrgott hat uns diese Aufgabe jetzt auf den Tisch gelegt“. Aber das, wofür sie von einigen Medien gescholten wurde, ist ein Chance zum Herrgott zurückzufinden, ein Begriff der im richtigen Zusammenhang verwendet befreien kann.

Sollte der Erlöser wirklich kommen, sollten Imam Mahdi und Jesus wirklich kommen (mögen sie bald erscheinen), dann wären wir als Deutsche – zumindest in großen Teilen – bereit unseren Teil zur Befreiung der Erde zu leisten. Dann werden wir allerdings nicht nur unsere Turnhallen und Moscheen zur Verfügung stellen müssen. Sollten sie aber noch nicht kommen, so hätten wir dennoch unseren Anteil geleistet, und nur das zählt im ewigen Leben. Die Erlösung beginnt im eigenen Herzen, indem man dieses Herz zur Nächstenliebe erzieht. Nichts ist unmöglich, auch nicht ein Jota.

„Denn wahrlich, ich sage euch: Bis der Himmel und die Erde vergehen, soll auch nicht ein Jota oder ein Strichlein von dem Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist.“ (Evangelien Mt 5:18)

„Sein (Gottes) Versprechen wird bestimmt erfüllt.“ Heiliger Qur’an 19:61

Anmerkung für die Griechischunkundigen: Jota gilt als „kleinster Buchstabe“.


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