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Die Rolle des politischen Kabaretts und der Satire in einer Narrengesellschaft

#1 von Yavuz Özoguz , 20.04.2015 14:08

Die Rolle des politischen Kabaretts und der Satire in einer Narrengesellschaft

Unter dem Eindruck von Terroranschlägen lässt sich nicht sachlich über die Rolle bestimmter Werkzeuge des Kapitalismus diskutieren, da die Atmosphäre es kaum zulässt. Daher fällt es vielen Westlern so schwer zu verstehen, warum Muslime Probleme mit der Narrenkultur haben, wie auch Muslime den Sinn von Satire im Westen kaum verstehen.

Will man eine aktuelle Situation in einer bestimmten Kultur verstehen und sachlich beurteilen, kommt man nicht drumherum, die geschichtliche Entwicklung dieser Kultur zu analysieren und zu hinterfragen. Kabarett und Satire in der Westlichen Welt sind keine Entwicklungen unserer Zeit. Sie entstammen einer Gegebenheit, die man „Hofnarren“ nannte.

Im Mittelalter hatten fast alle größeren Fürstenhöfe und noch größere Herrscher einen sogenannten Hofnarr engagiert. Er arbeitete im Auftrag des Herrschers und wurde von diesem auch entlohnt. Jene Herrscher würde man heute oft als Diktatoren oder Gewaltherrscher bezeichnen, und so standen die Hofnarren im Auftrag jener Gewaltherrscher. Im Gegensatz zum einfachen Volk und zu allen anderen Schichten der Gesellschaft, besaß der Hofnarr eine Freiheit, die sonst niemand im Volk hatte. Das wird bis heute – im übertragenen Sinn – als Narrenfreiheit bezeichnet. Die Narrenfreiheit bestand darin, dass der Hofnarr die einzige Person war, die den Herrscher öffentlich kritisieren durfte, ohne befürchten zu müssen, von diesem dafür bestraft zu werden. Alle anderen hätten teils schwerste Strafen auf sich nehmen müssen, wenn sie nur einen Bruchteil dessen von sich gegeben hätten, was der Hofnarr durfte. Der Hoffnarr durfte kritisieren, er durfte die so genannten Adeligen parodieren und er durfte sie sogar entwürdigen. Das Ganze hatte allerdings eine Bedingung: Er musste als „Narr auftreten und seine Kritik so verpacken, dass das Volk darüber genüsslich lachen konnte! Die Volksbelustigung hatte die sehr wichtige soziale Funktion eines Ventils. Der Unmut des Volkes über eine bestimmte Gegebenheit wurde vor dem Herrscher lautstark aber lustig geäußert, alle lachten darüber, und so konnte der Unmut sich „entladen“. Hofnarren mussten sehr intelligente Menschen sein, um diese Balance hinzubekommen. Die verschiedenen Höfe wetteiferten zuweilen miteinander, wer denn den berühmteren bzw. besseren Hofnarr hätte. Die Hofnarren konnten so Karriere machen und einem wohlhabenden Lebensabend unter dem Schutz des Hofes entgegen sehen.

Eines der Elemente, welche Hofnarren in ihrer sozialen Funktion als Volkeslenker verwendeten, war die Satire, eine Art Spottdichtung, die Zustände oder Missstände bzw. Fehler der Herrscher in sprachlich überspitzter und verspottender Form thematisiert. Das musste selbstverständlich in dosierter Form erfolgen, so dass letztendlich keine gefährliche soziale Stimmung gegen den Herrscher aufkeimen konnte. Gleichzeitig wurden viel Kritik und Satire auch in Richtung von Sündenböcken und Unterprivilegierten gelenkt, so dass der Gesamtunmut sich notfalls auf dem Sündenbock entladen konnte. Der Judenhass in Europa ist das beste Beispiel dafür. So oder so sollte das Volk sich in dem Gefühl wähnen, dass es ein gewisses Maß an Freiheit genießt, es sollte treu zum Herrscher sein, der ja öffentlich kritisierst werden durfte, und artig weiter als Untertan dem Herrscher huldigen.

Wenn man an dieser Stelle einen Sprung in das politische Kabarett unserer Zeit wagt, wird man feststellen, dass sich eigentlich gar nichts geändert hat. Der Kabarettist bzw. Satiriker hat die Rolle des Hofnarren übernommen und spielt diese im Bereich der Herrschaft des Kapitalismus. Sie werden nicht mehr vom König, sondern von öffentlich-rechtlichen Sendern engagiert. Sie treten nicht mehr in Narrenkostümen auf, sondern in Sendungen, die deutlich als „lustig“ gekennzeichnet sind.

Wollte man den ersten Artikel des Grundgesetzes realitätskonform formulieren, müsste man schreiben: „Die Würde des Menschen ist unantastbar außer durch den Hofnarren“. Die heutigen Hofnarren kritisieren auch Herrscher und die gegebenen Verhältnisse in einem dosierten Maß. Allerdings ist das Maß teilweise sehr dosiert. So wagt es z.B. kaum ein Hofnarr, den selbständigen Einsturz des dritten Gebäudes beim 9/11-Terroranschlag zu thematisieren. Das wäre dann doch zu gefährlich. Er oder sie darf sich aber immer wieder lustig machen über Kanzlerin Merkel. Würde jemand genau die gleiche Kritik ohne das Label „Satire“ von sich geben, müsste er mit einem Ermittlungsverfahren wegen Verunglimpfung einer Staatsgewalt rechnen. Er darf die Politik der USA und sogar das Bankensystem kritisieren. Würde er das Gleiche als engagierter Politiker tun, würde man ihn nicht berühmt, sondern fertig machen. In einem sehr dosierten Maß darf er sogar die zionistische Besatzung kritisieren, aber tut er es nicht als Komiker, wird er als Antisemit diffamiert.

Neben allen diesen Ventilfunktionen lenkt er selbstverständlich einen Großteil seiner Satire gegen den neuen Sündenbock der Zeit: die Religionen, insbesondere den Islam und den Muslim. Satire gibt vor gegen die Großen vorzugehen, aber in Wirklichkeit erfüllt sie eine vorgegeben Funktion des Ventils. Noch nie ist aus einer Satire eine politische Bewegung gegen die Herrscher entstanden. Und nur sehr wenige politische Kabarettisten sind außerhalb der Bühne politisch engagiert.

Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, als wenn sämtliche Kabarettisten unserer Zeit von den Herrschern „gekauft“ wären. Respektable Persönlichkeiten unserer Zeit wie Georg Schramm und Volker Pispers gehören sicherlich zu ernst zu nehmenden Systemkritikern. Aber mir ist nicht bekannt, in wie weit ihnen die Funktion als Ventil überhaupt bewusst ist. Jene Ventilfunktion kann bei manchen ritualisierten Veranstaltungen sehr deutlich herausgelesen werden. Ein Mal im Jahr trifft sich z.B. die gesamte CSU auf dem Nockherberg. Dazu wird ein Kabarettist eingeladen, der die Aufgabe hat, die gesamte CSU-Spitze, die selbst anwesend ist, durch den Kakau zu ziehen. Das Ganze heißt „Fastenpredigt“ und wird im Bayerischen Fernsehen live übertragen. Alle lachen – auch die parodierten Politiker – und gehen dann nach Hause um wieder CSU zu wählen. Allerdings muss der Kabarettist, der in der Regel mehrere Jahre eingeladen wird, aufpassen, dass er besagtes Maß einhält. Im Jahr 2007 hatte der Kabarettist Django Asül das Maß überschritten bzw. die Politiker zu hart kritisiert, so dass er nicht wieder eingeladen bzw. öffentlich ausgeladen wurde. Die Karnevalsumzüge zum Rosenmontag haben eine ähnliche Funktion, hier aber in anderer Form. Monatelang arbeiten ganze Mannschaften, um einen Umzugswagen zu gestalten, der die aktuelle Politik kritisiert und kommen nicht dazu, ernsthaft gegen jene Politik vorzugehen.

Anders ist die Geschichte des Islam und der Muslime verlaufen, insbesondere der Schiiten. Für Schiiten war der Staat – und damit alle Herrscher und deren Hofapparat (außer zur Zeit des Propheten und Imam Alis) – stets ein Feind! Es gab zwar auch eine Reihe von Herrschern, die im missbrauchten Namen der Schia aufgetreten sind, aber allein durch ihren Lebensstil konnten sie nie das Misstrauen gegen den Staat vermindern. Angriffskriege führten diese Armeen mit Söldnerheeren. Nur im Fall der Verteidigung war das Volk bereit, freiwillig den Angreifer abzuwehren, was aber zumeist nicht gelang, falls die Söldnerarmee besiegt wurde. Denn das Volk war nicht ausgebildet in Kriegsführung. Die Massaker der Kreuzritter an Juden, Christen und Muslimen in Palästina beruhen genau auf diesem Phänomen. Nachdem die reguläre Armee besiegt war, war das Volk nicht imstande den Angreifern ernsthaft widerstand zu leisten. Da aber selbst einheimische Christen zusammen mit ihren muslimischen Nachbarn gegen die Angreifer aufgestanden sind, wurden auch sie von ihren christlichen Glaubensbrüdern massakriert. Das erinnert ein wenig an die heutige Situation der Christen in der Region, die von Terroristen massakriert werden, die von der Westlichen Welt aufgebaut und finanziert werden.

Ist man sich bewusst über die Rolle der Satire bzw. des Kabaretts im kapitalistischen Unterdrückungssystem, dann kann man auch besser verstehen, warum unter dem Deckmantel der Freiheit solch ein Wahnsinnskrieg für jene Satire geführt wird. Der Muslim versteht nicht, warum es eine Freiheit und Schutz der Menschenwürde sein soll, dass sein Prophet, den er als Höhepunkt der gelebten Barmherzigkeit versteht, öffentlicht verunglimpft wird. Und in seinem Unwissen richtet sich dann sein Zorn gegen den Satiriker. „Dunkle Mächte“, unabhängig davon ob es verkappte Muslime sind oder nicht, missbrauchen diesen Zorn vieler Muslime durch Terroranschläge, mit denen sie die Gesellschaft spalten. Während die Mächtigen und Reichen in allen Gesellschaften davon leben, dass es ihnen gelingt das Volk zu spalten, sind sie sich einig darin, die Macht in ihren Händen zu halten, auch durch „Multikulti-Ehen“. Die gleichen Deutschen, die heute auf Reinrassigkeit achten, was heute nur anders bezeichnet wird, ehren Höfe und Königshäuser der Geschichte, die ohne Ende „durchmischt“ waren. Und die gleichen armseligen Demonstranten, die heute gegen die „Islamisierung“ wettern, merken nicht, wie sie dafür missbraucht werden, die Kapitalisierung voranzutreiben, wodurch ihre Probleme immer größer werden.

Was ist die Lösung? Alle Volksteile der Gesellschaft müssen sich zusammenschließen gegen die Unterdrücker. Der erste Artikel unsere Grundgesetzes gibt uns dazu eine hervorragende Richtschnur: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Wenn wir Staat nicht als ein System von „Oberen“ oder Beamten sehen, sondern jeder von uns ein Teil des Staates ist, werden wir alles erlaubte tun, um die Würde der Menschen zu schützen. Ist nicht die Nächstenliebe der Religionen ein hervorragender Schutz der Würde des Menschen? Und wenn es uns gelingt, solch ein System anzustreben, worüber sollten sich die Hofnarren dann noch lustig machen können? Doch um solch ein System zu realisieren, müssen wir Menschen als Vertreter wählen, die im wahrsten Sinn des Wortes würdig sind. Und wir müssen uns einige unbequeme Fragen stellen: Ist nicht der Kapitalismus selbst der größte Angriff auf die Würde der Menschen? Ist die Tatsache, dass Reiche immer Reicher und Arme immer Ärmer werden nicht ein Angriff auf die Würde so vieler Menschen? Ist das heutige Banken- und Geldsystem nicht unmenschlich? Wenn wir diese und ähnlich geartete Fragen sachlich diskutieren und uns gemeinsam zur Wahrung der Würde zusammenschließen, dann gibt es keine Front Inländer/Ausländer oder Christ/Muslim oder Westler/Östler. Dann gibt es nur noch eine Front: Unterdrückte gegen Unterdrücker. Wohl dem, der auf der Seite der Unterdrückten steht. Manche „Hofnarren“ der heutigen Unterdrücker wollen uns einreden, dass es besser sei zu den Tätern zu gehören als zu den Opfern. Auch sie arbeiten an der Spaltung weil sie wissen, dass der Zusammenschluss der Bürger die Macht ihrer Gönner zerstören und damit ihrem übertriebenen Lebensstil ein Ende bereiten würde. Sie merken aber nicht, dass dadurch auch ihre Menschenwürde geschützt werden könnte.

Yavuz Özoguz  
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