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Eine fast perfekte Atominszenierung

#1 von Yavuz Özoguz , 04.04.2015 11:56

Eine fast perfekte Atominszenierung

Das muss man der Westlichen Welt neidlos anerkennen: Im Inszenieren von Theaterstücken auf der Weltbühne des Machterhalts und -ausbaus für die Unterrückung der Menschheit sind sie meisterlich.

Wir Muslime können dieser Art der Kriegsführung nicht mit gleicher Methode entgegen treten, da Muslime der Wahrheit verpflichtet sind. Bedauerlicherweise wollen große Teile der Bevölkerungen der Westlichen Welt und leider auch einige Teile der Bevölkerung der Islamischen Republik Iran die Wahrheit gar nicht hören und ziehen die Inszenierungen vor, da sie spannender, sensationslüsterner und vor allem irdische Wunschvorstellungen befriedigender erscheinen. Doch der Trug zerplatz wie eine Seifenblade, sobald man genau hinschaut.

Zunächst einmal muss festgestellt werden, dass der russische Außenminister Lawrow ganz offensichtlich Recht hatte, als er vor einigen Tagen veröffentlicht hat, dass es eine Art Rahmenabkommen zwischen den Verhandlungsführern und dem Iran gibt. Allerdings hatte er aus Sicht der Westlichen Welt einen schweren Fehler begangen. Die Inszenierung sah nicht vor, dass ein der Westlichen Welt abtrünniges Russland diese Nachricht zuerst verkündet. Die Verkündigung stand ganz allein dem Westen zu. Und daher mussten zwei weitere Tage „verhandelt“ werden, bis dann die Nachricht endlich verbreitet wurde, dieses Mal natürlich von der Westlichen Welt.

Die westlichen Medien haben daraufhin ihre seit Tagen vorbereitete perfekte Inszenierung hochgefahren, in der auch einige Iraner mitspielen durften. n-tv meldete: „Teheran feiert, Merkel lobt, Netanjahu wütend“. Das Ganze wurde garniert mit Feierszenen aus Teheraner Straßen, in denen eine offensichtlich leicht zu beeindruckende Jugend mit Autokorsos und Hupkonzerten so feierte, als wenn die iranische Nationalmannschaft Fußballweltmeister geworden wäre. Was natürlich nicht gezeigt wurde, war die Tatsache, dass in einer 15 Millionen-Stadt jene Szenen sich nur in ganz bestimmten wenigen Bezirken abgespielt haben.

Was war aber eigentlich konkret passiert, dass zumindest einige in Teheran feiern, Merkel lobt und Netanjahu den Wütenden spielt? Es soll zu einer Art Rahmenabkommen zwischen den UN-Vetomächten plus Deutschland auf der einen Seite und der Regierung der Islamischen Republik Iran auf der anderen Seite gekommen sein. Doch handelt es sich wirklich um ein „Abkommen“. Ein Abkommen setzt voraus, dass beide Seiten ein gemeinsames Papier unterschreiben. Davon ist aber nirgends die Rede. Keine Seite hat sich zu irgendetwas verpflichtet, zumindest nicht mittels völkerrechtlich bindenden Vertrags. Aber wir wollen hier nicht kleinlich sein, immerhin soll es ja „Eckpunkte“ geben, die so sensationell sind, dass man nach 12 Jahren Verhandlung diese inszenierte Feier zulässt. Worin bestehen denn jene Eckpunkte, die übereinstimmend in der Westlichen Welt verkündet wurden?

Der Iran soll sich verpflichtet haben, seine Urananreicherung bis zu 25 Jahre einem mehrstufigen System von Beschränkungen und Kontrollen zu unterwerfen. Die Kontrollen hat es ohnehin auch ohne Verhandlungen gegeben, denn Iran ist dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten (im Gegensatz zu Israel mit seinen mehreren Hundert Atomwaffen). In den ersten 10 Jahren sollen angeblich mehr als zwei Drittel der bestehenden Kapazitäten zur Uran-Anreicherung stillgelegt werden. Die Zahl installierter Zentrifugen soll angeblich von 19 000 auf rund 6100 sinken. Die Zahl von 19.000 Zentrifugen beschreibt sämtliche im Iran bestehende Zentrifugen, von denen die meisten so alt sind, dass sie auch ohne Abkommen still gelegt worden wären. Zudem hat sich im Iran in den letzten Jahren, insbesondere seit Fukushima, völlig unbemerkt von der Westlichen Welt auch der Gedanke ausgebreitet, ob Atomenergie überhaupt sinnvoll ist. Im Gegensatz zur Westlichen Welt gibt es im Iran durchaus ernsthafte Stimmen, die eine vernünftig zu realisierende Endlagerung von Hinterlassenschaften der Atomanlagen, die einige Hunderttausend Jahre eingelagert werden müssen, anzweifeln.

Der Iran soll sich verpflichtet haben, Uran nur noch auf 3,67 Prozent anzureichern. Das ist durchaus möglich, denn der Iran braucht die Strahlungsquelle ohnehin nur für die Forschungsreaktoren und für medizinische Zwecke. Aber auch vor dem Abkommen hat der Iran niemals – auch nicht einmal annähernd – eine Urananreicherung auf 90 Prozent, die für eine Atomwaffe notwendig wären – angestrebt.

Die Anreicherungsanlage Fordo südlich von Teheran soll in ein Forschungszentrum für Nukleartechnologie verwandelt werden. Das ist der mit Abstand „lustigste“ Aspekt der Vereinbarung. Denn die Anlage in Fordo ist nichts anderes als ein Forschungszentrum für Nukleartechnologie. Insofern soll die Anlage nicht etwa bautechnisch oder strukturelle umgebaut werden, sondern in den Köpfen der westlichen Politiker und deren Hofjournalisten. Das solch ein „Umbau“ als Erfolg der Verhandlungen vermerkt wird, zeigt die Verblendung, unter der die Berichterstatter leiden und/oder deren Treue zur Inszenierung.

Als weiterer Durchbruch wird gewertet, dass alle nuklearen Aktivitäten des Iran bis zu 25 Jahre durch die Internationale Atomenergiebehörde kontrolliert werden sollen. Kleine Frage als Zwischenbemerkung: War das nicht ohnehin im Rahmen des laufenden Vertrages mit der Atomenergiebehörde der Fall?

Nun, das sollen also die „Zugeständnisse“ der Islamischen Republik Iran sein. Schön und gut! Und was sollen die Gegenleistungen der Westlichen Welt sein? Im Gegenzug soll die Westliche Welt seine einseitigen von der UN nicht mitgetragenen und gegen das internationale Recht verstoßenden Wirtschaftssanktionen aufheben. Allerdings wird weder festgelegt, wann die Sanktionen gelockert werden noch in welchem Maß! Und das alles ist noch nicht einmal völkerrechtlich bindend, weil niemand etwas unterschrieben hat. Weitere Details sollen bis Ende Juli zu einem „echten“ Abkommen führen. Doch die Westliche Welt feiert den Durchbruch und einige Iraner stören den ohnehin belasteten Straßenverkehr im Zentrum der Hauptstadt mit Hupkonzerten.

Was aber ist ein tatsächliches Ergebnis? Tatsächliches faktisches Ergebnis ist, dass der Ölpreis nach der medialen Inszenierung wieder auf rapide Talfahrt gegangen ist, was einen enormen Schaden für die iranische Wirtschaft bedeutet. Denn was nützt es, wenn sie jetzt theoretisch im Westen kaufen kann, was sie will, es sich aber nicht mehr leisten kann? Der heutige Ölpreis liegt unter der Hälfte der Zeit von vor zwei Jahren. Iran sind bis Ende Juli die Hände gebunden bei den extremen Aggressionen des Imperialistischen Systems (IS) gegen Jemen, gegen Syrien, gegen den Irak und gegen Afghanistan. Währenddessen kann das Imperialistische System (IS) in brutalster Form weiter wüten. Manche westlichen Strategen rechnen damit, dass für Jemen die Zeit von drei Monaten genügt, um die westliche Kontrolle zurück zu gewinnen. Israel spielt das Spiel mit und protestiert artig aber verhalten, so dass es nicht zum propagandistischen Bruch mit der Westlichen Welt kommt. Einen echten Bruch würde es ohnehin nicht geben, handeln doch die westlichen Staaten stets im Einklang mit den Interessen der sich immer weiter ausdehnenden Besatzungsmacht Israel. Für 70 Jahre ununterbrochener Besatzung hat es noch nie Sanktionen gegen Israel gegeben, so dass die jetzige israelische Regierung inzwischen ganz unverblümt die ewige Besatzung propagiert.

Angesichts dieser Ausgangslage stellt sich daher durchaus die Frage, warum und worüber manche Iraner auf den Straßen feiern? Es ist sicherlich kein Wunder, wenn einige muslimische Beobachter diese Inszenierung mit dem Abkommen zwischen Imam Alis (a.) Truppen und Muawiyas Truppen nach der Schlacht von Siffin vergleichen. Eigentlich wollte Imam Ali (a.) seinen treuen Feldherrn Malik al-Aschtar als Verhandlungsführer einsetzen. Aber die Truppen Imam Alis (a.) haben sich dagegen gewandt und in einer „demokratischen“ Wahl eine Person namens Abu Musa als Verhandlungsführer ihrem Imam aufgezwungen. Imam Ali (a.) machte das Volk auf die Konsequenzen dieses Missgriffs aufmerksam, und dass es selbst die Folgen zu tragen hätte. Auf der anderen Seite stand mit Amr ibn Aas der treuste und gewiefteste Verbrecher Muawiyas als Verhandlungsführer.

Nach langen Verhandlungen kamen auf Vorschlag Amr ibn Aas beide zu dem Schluss sowohl Muawiya als auch Imam Ali (a.) als Kalif abzusetzen. Amr ibn Aas schlug in einer wohldurchdachten List vor, dass jeder Vertreter die Absetzung seines eigenen Kalifen bekannt geben sollte und ließ Abu Musa den Vortritt. Abu Musa trat vor die Leute und sagte: „Hiermit stelle ich fest, dass Ali ibn Talib vom Kalifat abgesetzt wurde!“ Darauf hin trat Amr ibn Aas auf und verkündete: „Hiermit stelle ich fest, dass Muawiya Kalif sein wird“. Nach diesem Ereignisse, das als Schiedsgericht von Adhruh bekannt wurde, wandten sich ausgerechnet diejenigen auf Seiten Imam Alis (a.) einmal mehr gegen ihn, die ihm vorher Abu Musa aufgezwungen hatten und bildeten die Chawaridsch. Die Chawaridsch führten später den brutalsten und blutrünstigsten Krieg gegen Imam Ali (a.). Eine der direkter Nachfahren jenes Abu Musa namens Abul-Hasan al-Aschari gründete zwei Jahrhunderte später die philosophische Schule der Aschariyya, deren fatalistisches Grundgerüst heute die Denkweise der Salafisten bildet.

Ausgehend von diesem geschichtlichen Exkurs gibt es scheinbar einige Parallelen zwischen den iranischen Verhandlungsdelegation und der damaligen Situation. Die Iraner verkünden, dass die Sanktionen bald aufgehoben sein werden. Ein Teil des Volkes jubelt überschwänglich. Kurze Zeit danach treten die westlichen Delegationen auf und verkünden, was der Iran alles für Zugeständnisse gemacht habe und geben gleichzeitig keinerlei Versprechungen bezüglich des Zeitplans zur Aufhebung der Sanktionen bekannt. Doch der Schein trügt! Die iranische Delegation hat nichts unterschrieben! Die amtierende Regierung ist dem Imam nicht aufgezwungen, sondern arbeitet mit dem Imam zusammen. Und die Gegenseite ist in sich zerstritten, denn Teile der Gegenseite würden von der Aufhebung der Sanktionen viel mehr profitieren als der Iran. Russland und China halten sich ohnehin nicht daran. Die USA hat keinerlei Chance in absehbarer Zeit auf lukrative Geschäfte im Iran und die Engländer haben nichts Markttaugliches anzubieten außer wertlosem Papiergeld. Einzig Frankreich und Deutschland werden von vielen lukrativen Geschäften durch ihre westlichen Verbündeten abgehalten zum Leidwesen deutscher und französischer Unternehmen. Haben vor 25 Jahren französische und deutsche Fahrzeuge das Stadtbild im Iran geprägt, sind es heute neben den einheimischen Fahrzeugen vor allem japanische und südkoreanische Fahrzeuge.

Zusammenfassend lässt sch sagen: Die Verhandlungen sind noch lange nicht zu Ende. Was im Juli passieren wird, kann niemand genau voraussehen. Die Brutalität mit der die Westliche Welt versucht den Rest der Welt zu unterdrücken hat immer weiter zugenommen. Und die Befreiungstheologie, die von der Islamischen Republik Iran ausgeht, hat ihre Quelle in Imam Chamene’i und nicht in irgendeiner Verhandlungsdelegation. Das Möchtegernabkommen ist aber eine Verpflichtung für alle Anhänger Imam Chamene’is intensiver als zuvor dessen Einladung an die Jugend in Nordamerika und Europa zu verbreiten und den Imam vorzustellen.


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RE: Eine fast perfekte Atominszenierung

#2 von Cengiz Tuna , 04.04.2015 14:23

Vielen Dank für die differenzierte und ausführliche Erklärung. Es ist nur zu hoffen, dass es keine Einigung auf dieser Basis geben wird. Außenminister Sarif behauptet auf der Pressekonferenz, dass bei den wichtigsten Punkten eine Einigung abzusehen ist. Wenn das aber die Punkte sind, dann ist das ein inakzeptables Ergebnis.

Hier das Video. Leider nur auf türkisch übersetzt:

https://www.youtube.com/watch?v=M0X-O46vTxQ

Mir scheint es schon so, als ob die Delegation nicht auf der revolutionären Linie ist, und eine Annäherung an den Westen sucht. Denn so sehr werden die vom Westen genannten Eckpunkte nicht erwidert.

Jedenfalls sagt Außenminister Sarif auch, dass eine Zustimmung nur mit Imam Khamenei möglich ist. Für mich der einzige Hoffnungsschimmer.

Was aber sollte die Inszenierung mit den Leuten auf der Straße, wenn noch nichts feststeht? Was haben sie davon? Oder worauf spielen die hinaus? Wollten die so eine Zustimmung in der Bevölkerung für so ein Ergebnis gewinnen? Vermutlich wollten sie das dem Volk als Erfolg verkaufen.

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RE: Eine fast perfekte Atominszenierung

#3 von Yavuz Özoguz , 04.04.2015 16:12

Die Ruhani-Regierung ist angetreten mit dem Versprechen, die Sanktionen zu überwinden. Und jetzt versucht sie ihrer Klientel zu "verkaufen", dass das gelungen sei. Allerdings ist die entscheidende Passage der gemeinsamen Erklärung:

The European Union will terminate the implementation of all nuclear-related economic and financial sanctions and the United States will cease the application of all nuclear-related secondary economic and financial sanctions simultaneously with the IAEA-verified implementation by Iran of its key nuclear commitments. A new UN Security Council resolution will endorse the JCPOA, terminate all previous nuclear-related resolutions, and incorporate certain restrictive measures for a mutually agreed period of time.

Diese Passage verstehen die Iraner als unmittelbare Aufhebung der Sanktionen, sobald Iran die Bedingungen erfüllt. Tatsächlich aber muss erst einmal die IAEO die Erfüllung der Bedingungen bestätigen, was bei dieser gekauften IAEO sehr lange in Anspruch nehmen kann. Iran hat null Einfluss auf die IAEO, die Veto-Möchte aber haben großen Einfluss, allen voran die USA. Außerdem muss es zu einer neuen UN-Resolution kommen. Und wie der Begriff "simultaneously" zu verstehen ist, dürfte auch eine Streitfrage sein. Zudem betrifft das ganze "nur" Sanktionen, die mit der Atomfrage zusammenhängen. Andere Sanktionen, die z.B. wegen so genanntem Terror verhängt worden sind, oder in Zukunft wegen Jemen, Syrien, Irak usw. verhängt werden könnten, sind nicht betroffen von der Vereinbarung. Insofern besteht durchaus die Gefahr, dass diese Iraner über den Tisch gezogen werden. Aber selbst das wäre hilfreich um aufzuwachen und zu verstehen, dass es im Krieg reich gegen arm niemals ein freiwilliges Nachgeben der Unterdrücker geben wird. So oder so ist es zum Segen für alle, die hoffnungsvoll auf die Erlösung warten.


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