Gibt es ein deutsches Volk?
Eine völlig banal klingende Frage, soll hier aus Sicht des Islam etwas differenzierter beleuchtet werden. Was ist ein Volk? Was ist deutsch? Was sagt der Heilige Koran dazu? Wie spielt Migration und die von völkisch denkenden Menschen propagierte „Remigration“ in das Volk hinein? Wer gehört zum deutschen Volk? Und wozu gibt es überhaupt Völker?
Bestandaufnahme
Zunächst einmal bin ich in Deutschland aufgewachsen und habe mein nahezu ganzes Leben hier verbracht. Ich betrachte Delmenhorst als meine Heimat und spreche sicherlich überdurchschnittlich gut Deutsch ohne Akzent. Dennoch betrachtet mich ein großer Teil der Deutschen als Türken, da meine Eltern aus der Türkei stammen. So ähnlich geht es auch allen hier aufgewachsenen sogenannten „schwarzen“ Mitbürgern, selbst wenn sie 150% integriert sind und selbst wenn sie als Prominente für Deutschland um Medaillen an Wettkämpfen teilnehmen. Noch krasser ist es bei meiner Ehefrau (geborene Schmidt), die von einem Grenzbeamten mehrfach gefragt worden ist, ob sie „Türkin“ geworden sei, obwohl er ihren deutschen Reisepass in der Hand hielt. Das Kopftuch im Pass war für ihn ein Ausschlusskriterium. Es gibt große Teile der deutschen Bevölkerung, die ein sehr rassistisch geprägtes Volksverständnis haben; teils weniger bewusst. Sie glauben, dass ein Österreicher, der ja sehr niedlich deutsch spricht, mehr zum deutschen Volk gehört als der Holländer, der in seiner Nationalhymne, dem sogenannten Wilhelmslied, vom „teutschem Blut“ singt. Die aktuelle holländische Fußballnationalmannschaft verfügt offensichtlich nicht über ganz so „reines“ Blut, wie es einstmals die Arier-Fanatiker katalogisiert haben.
Vielvölkerstaat
Wenn man den Begriff „Vielvölkerstaat“ hört, denkt man an den Orient, an den Iran, an die Türkei und afrikanische Länder. Aber ist nicht letztendlich jeder Staat ein Vielvölkerstaat? Auch ohne die Gastarbeiter-Zuwanderung gab es schon immer viele Völker in jeder Region und so auch in Deutschland. Einige haben sogar einen besonderen rechtlichen Status und Schutz wie die Sorben (ein westslawisches Volk mit eigener Sprache), Dänen, Friesen und Deutsche Sinti und Roma. Keinen besonderen Schutzstatus haben weitere Völker, die in Deutschland integriert worden sind, wie Hugenotten, Kaschuben, Masuren, Polen, Russlanddeutsche, Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben und deutsche Juden. Seit einigen Jahrzehnten sind hinzugekommen: Türkischstämmige, die die größte Migrationsgruppe in Deutschland darstellen, Kurden, arabischsprachige Gruppen (Syrer, Palästinenser, Libanesen etc.), Vietnamesen (vor allem in Ostdeutschland aus der DDR-Geschichte), Jugoslawische Gruppen (Bosnier, Serben, Kroaten) und nicht zuletzt die jüdischen Gemeinden mit Zuwanderung vor allem aus Osteuropa seit 1990. Ist das ein Problem? Und wenn ja, wie ist es menschenwürdig lösbar?
Der Volksbegriff im Allgemeinen und im Heiligen Quran
Im Allgemeinen wird der Begriff Volk im Deutschen je nach Perspektive unterschiedlich definiert: Die rein rechtliche Definition findet sich im Grundgesetzt und ist sehr simpel: „Alle deutschen Staatsangehörigen“. Hier wird weder die Frage aufgeworfen, ob eingebürgert oder nicht, und wenn ja in wievielter Generation usw. Auch das Aussehen und damit die ethnische Herkunft spielen keine Rolle, und die Religion schon gar nicht. Diese juristische Definition wird von Teilen des deutschen Volkes nicht akzeptiert. Sie setzen mehr auf eine ethnologische und soziokulturelle Definition: Eine durch gemeinsame Sprache, Kultur, Geschichte oder Abstammung verbundene Gemeinschaft. Das Problem bei solch einer Definition ist deren Schwammigkeit und die Tatsache, dass derart denkende Menschen in der Sprache, Kultur und Geschichte immer nur die positiven Aspekte sehen und gleichzeitig zu dem Schluss kommen, dass das eigene Volk zu den Besten gehört, wenn nicht gar das beste Volk ist. Sie neigen dazu die ethnische Gruppe hervorzuheben und zu überhöhen. Sie sind der Meinung, dass sie eine Gruppe mit kollektiver Identität seien, obwohl die Nonne im Kloster sicherlich eine andere Identität hat als der Rocker von Hells Angels oder der Bankmanager in Frankfurt. Auf die Spitze getrieben haben es die Nazis, die Begriffe wie „Volksgemeinschaft“, „Blut und Boden“, „völkische Reinheit“ usw. propagiert haben.
Deshalb ist der Begriff „Volk“ in Deutschland sprachlich sensibel und wird oft bewusst vermieden oder durch Begriffe wie „Bevölkerung“, „Gesellschaft“, „Gemeinschaft“ oder „Staatsangehörige“ ersetzt – besonders im politischen oder akademischen Bereich. Aber muss man deshalb behaupten, dass es kein deutsches Volk gibt oder in der Konsequenz sogar keine Völker überhaupt?
Richtig kompliziert wird es, wenn einzelne Deutsche die Begriffe durchmischen und gegensätzlich interpretieren und leben. So fühlte sich z.B. der ehemalige Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland Heinz Galinski als jüdischer Deutscher, also als Deutscher jüdischen Glaubens und wollte entsprechend in seiner Heimat Berlin beigesetzt werden. Sein Nachfolger Ignatz Bubis empfand sich hingegen als deutscher Jude und wollte in seiner Heimat Israel beigesetzt werden. Welchem Volk gehören die beiden an? Oder müssen alle Deutsche Christen sein? Dann wäre inzwischen mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland keine Deutschen mehr. Gibt es den deutschen Muslim oder den muslimischen Deutschen?
Volk im Heiligen Quran
Der heilige Quran hat sehr unterschiedliche Begriffe, um die Gemeinschaft von Menschen zu erläutern. Als kleinste Einheit gilt die Ehe aus Mann und Frau. Sie gilt als unabdingbare Basis jeder größeren Gemeinschaft. Wer sie zerstört, zerstört das Volk, wie es aktuell bei allen westlichen Staaten zu beobachten ist. Ein Ehepaar mit Kindern ist eine Familie. Mehrere Familien zusammen bilden eine Sippe (arab: scha’ab), in der alle mehr oder weniger Blutsverwandt sind. Eine Ansammlung von mehreren regional zusammenhängenden Sippen bilden einen Stamm (qabila).
Der Heilige Quran spricht diesbezüglich die gesamte Menschheit an: „O ihr, die ihr die Menschheit seid! Wahrlich wir sind es, die wir euch aus Männlichem und Weiblichem erschaffen haben. Und wir haben euch als Sippen und Stämmen errichtet, damit ihr einander erkennt. Wahrlich euer Ehrwürdigster bei Allah ist euer Gottesehrfürchtigster.“ (vgl. Heiliger Quran 49:13)
Gemäß islamischem Verständnis gibt es keinen Zweifel, dass die Menschheit in verschiedene Menschengruppen segmentiert ist. Aber Sinn und Ziel dieser Segmentierung ist die gegenseitige Erkenntnis, um in Gottesehrfurch und damit Nächstenliebe einander voranzubringen. Nicht umsonst verweist der Prophet des Islam in mehreren Überlieferungen darauf hin, dass der wertvollste Mensch einer Gemeinschaft (unabhängig davon, wie groß sie ist) derjenige ist, der ihr am dienlichsten ist. Doch bei allen oben genannten arabischen Begriffen kam der Begriff „Volk“ nicht vor, denn die obigen Begriffe sind statischer Art. Volk ist im Islam hingegen dynamisch.
Das arabische Wort für Volk (qaum) ist eher ein ideologischer Zusammenschluss von Menschen, der auf Freiwilligkeit beruht. Man kann nicht zu einem Volk „gezwungen“ werden. Zwar gibt es eine soziale und kulturelle Vorprägung, aber aus der kann man ausbrechen und sich einem anderen Zusammenschluss anschließen. Über 300-mal wird der Begriff verwendet wie beim Volk Mose, Volk Huds, Noahs Volk, die allesamt ertrinken außer Noah und wenige mit ihm und Volk des Propheten Lot, von dem sich Lot später selbst lossagt. Es gibt unverständige Völker und welche, die ihren Verstand nutzen. Es gibt Völker vor und nach uns. Es gibt Völker von Übertretern und Friedensstiftern, von Ignoranten und Wissenden, von Ungerechten und Gerechten, von Verschwendern und Streitsüchtigen. Es gibt sogar ein Volk von Verbrechern! Viele Propheten sprechen ihr Volk an mit „O mein Volk“. Damit ist aber das Volk in jener Zeit gemeint. Das deutsche Volk ist also nicht das Volk der German, die Thor und Odin Opfer dargebracht haben.
Eine besondere Volkszugehörigkeit im Quran stellen die Nachkommen Israels (Bani Israil) dar. Israel war der Name des Propheten Jakob. Die meisten Juden verstehen sich als ethnisch definiertes Volk und betrachten sich als Juden, selbst wenn sie nicht an Gott glauben. Diese Art der Volkszugehörigkeit, die im puren Rassismus mündet, prangert der Islam an. Es gibt aber auch Juden im Quran, die als „Judentum praktizierende“ beschrieben werden, was keine rassistische Ausprägung hat. Ist die heutige Weltpolitik nicht ähnlich geprägt?
Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, wollte man alle Völker im Quran auflisten. Aber Volk ist im Heiligen Quran keine statische Angelegenheit. Vielmehr ist am arabischen Wortstamm des Begriffs bereits zu erkennen, worum es geht: Es geht um „Aufstehen“ oder „sich Erheben“. Volk ist sozusagen eine Aufbruchsgemeinschaft, Aufbruch zum Guten oder – Gott bewahre – zum Bösen. Jedes Volk kann seine Lage selbst ändern. Dazu aber müssen die Menschen in diesem Volk ihre eigenen Seelen beherrschen und in die richtige Richtung orientieren. Nach dieser Definition gehören heutige Deutsche, die sich von den Nazis lossagen, nicht zum Volk von Hitler, aber jene, die rassistische Unterdrückung durch z.B. Waffenlieferungen massiv unterstützen, schon. Völker, die sich im letzten Jahrhundert intensiv geändert haben sind die Iraner, die sich von den USA befreit haben, oder Russen, die sich gegen die Weltherrschaft der Imperialisten positioniert haben. Viele afrikanische Völker ändern sich gerade wie auch das jemenitische Volk.
In der Volksgemeinschaft des Propheten Muhammad waren mehrere Araber aus unterschiedlichen Stämmen, ein berühmter Perser, ein berühmter „schwarzer“ Abessinier, immerhin der erste Gebetsrufer im Islam, und viele andere mehr. Die Volksgemeinschaft breitete sich aus und bildete die „Umma“ der Muslime. „Umma“ ist der islamische Begriff für „Kirche“, was nicht etwa das Gebäude bedeutet, indem man betet, sondern das übergeordnete Dach der Gottesehrfurcht, unter der man sich vereinigt.
Ein letzter Begriff im Quran soll der vollständigkeitshalber auch erwähnt werden, nämlich der Begriff „Millah“. Er wird heute als Nation übersetzt, aber das trifft es nicht. Millah ist eher eine ideologisch fundierte Lebensgemeinschaft, die sich für die Wahrheit einsetzt. Im Heiligen Quran gibt es daher die Millah von Abraham. Der Bezug auf den Stammvater Abraham ermöglich die Gemeinschaft von Verschiedengläubigen, wenn sie sich gemeinsam für Gerechtigkeit einsetzen.
Kehren wir zurück zu der Aufbruchsgemeinschaft. Es ist absurd zu verleugnen, dass es Völker gibt. Es ist aber auch unmenschlich Völker gegeneinander auszuspielen. Eine Aufbruchsgemeinschaft setzt sich für Menschlichkeit und Nächstenliebe ein, und zwar für alle Menschen! Die Vorstellung „mein Volk zuerst“ ist nachvollziehbar, ist aber letztendlich nur eine Ablenkung von der Menschlichkeit. Die aktuellen „Rechten“, die sich für „Remigration“ einsetzen, erkennen zwar die Symptome der Probleme, die sicherlich auch mit einer unkontrollierten Zuwanderung so großer Massen in zu kurzer Zeit zu tun haben, aber sie verleugnen die Ursachen! Die Linke streben zwar eine gemeinsame Menschheitsfamilie an, die „durchmischt und durchrasst“ ist, wie es ein deutscher Politiker formuliert hat und zu einer Art Einheitsbrei wird, verkennen dabei aber die neuen Probleme, die dabei entstehen.
Würde man die Probleme wirklich durchdenken und auf Basis von Menschlichkeit, Nächstenliebe und bei Einsatz des uns allen anvertrauten Verstandes analysieren, würde man sehr schnell zu dem Schluss kommen, dass die Ursache aller irdischen Probleme in der extremen Ungleichverteilung der Reichtümer dieser Erde liegt. Eine Handvoll Familien, denen Volksgrenzen völlig gleichgültig sind, jagen die Völker mit unterschiedlichsten Methoden gegeneinander. Mal nutzen sie Linke, mal Rechte, um ihre unstillbare Gefräßigkeit nach Reichtum zu befriedigen. Wären die Güter gerechter verteilt, in der Familie, in der Sippe, im Stamm, im Volk und in der Weltgemeinschaft, gäbe es die allermeisten Probleme nicht und wir könnten gemeinsam in einem Paradies der Menschlichkeit leben. Wer also im Namen seiner Familie oder seines Volkes eine andere Familie oder anderes Volk bekämpft, wird zum Dieser der selbsternannten Herrscher. Dazu nur eine Zahl: Sämtliche Migranten aller Zeiten in Deutschland haben zusammen nicht so viele Staatsmittel verpulvert, wie ein Black-Rock-Kanzler innerhalb kürzester Zeit an Kriegsmitteln. Er hat damit Mittel für die Nimmersatten locker gemacht hat, und das zu einer Zeit, als er noch gar nicht Kanzler war.
Die Frage nach Volkszugehörigkeit scheint unbeantwortet. Aber der Islam gibt hier eine religiöse Definition bezüglich Heimat, die hilfreich sein kann. Ein Muslim muss sich auf eine Heimat festlegen. Es ist vereinfacht ein Ort, in dem er leben will und vor hat unbegrenzt zu bleiben (also nicht nur übergangsweise) und in der er beabsichtigt zu sterben. In der Heimat betet er vollständig, fastet und die Riten in der Heimat sind anders als auf Reisen. Wer also wirklich einen Ort in Deutschland als seine Heimat sieht, warum sollte man es ihm streitig machen? Wenn aber jemand in Deutschland lebt, aber ferne Länder als seine Heimat betrachtet, dann sollte man hilfreich sein, dass die Umstände sich so ändern, dass er wieder in seine Heimat zurückreisen kann. Liebt am Ende nicht jeder seine Heimat?
Wer ist Deutscher?
Zu Deutschland gehört dann derjenige, der aufrichtig Deutschland als seine Heimat betrachtet, selbst wenn er auswandern musste. Und deutsch ist derjenige, der die Sprache, Sitten und Gebräuche sowie Kultur seiner Heimat kennt, unabhängig davon, was er davon gutheißt und was nicht, was er mitmacht und was nicht. Sicher ist jedem Deutschen die Alkoholsucht einiger Teile des Volkes bekannt. Aber deshalb muss man ja nicht mittrinken oder dabei sein, um Deutscher zu sein. Zu Deutschland gehört dann auch jeder, der aufrichtig Schaden vom deutschen Volk abwenden will. Bei einigen deutschen Ministern wären diesbezüglich einige Fragezeichen angebracht, insbesondere bei Innenministern. Nicht zum deutschen Volk würde nach solch einer Definition offensichtlich der Verfassungsschutz oder die Springer-Presse gehören, denen das Wohl anderer Völker augenscheinlich wichtiger als das Wohl des deutschen Volkes zu sein scheint.
Diejenigen, die Deutschland als ihre Heimat betrachten, sollten eine gemeinsame Aufbruchsgemeinschaft bilden, in der das Unrecht und die Ungerechtigkeit überwunden werden, in die das Land schnurstracks hineingeglitten ist. Es gibt Kräfte, die das forcieren. Es liegt an uns die Aufbruchsgemeinschaft zu bilden, die sich für etwas einsetzt, was in den letzten Jahren völlig in Vergessenheit geraten ist oder drastisch pervertiert wurde: Nächstenliebe. Nächstenliebe hat Liebe zur Voraussetzung. Wer nicht lieben kann, kann auch den Nächsten nicht lieben. Ein Volk der Liebe wäre ein wunderbarer Leuchtturm für die Menschheit. Ändern wir also das Schicksal des deutschen Volkes in Liebe.